Nachdem uns heute ein Ausläufer der Regenzeit erreicht hat, habe ich mal wieder Zeit von meinen Erfahrungen hier in Mollesnejta zu berichten.
Wie im Flug vergeht die Zeit – tagtäglich Aufstehen um 7:15 Uhr, Kaffekochen (inzwischen ernte ich auch keine skeptischen Blicke mehr von Gustavo, wenn ich meinen Kaffee nicht wie hier üblich mit 3 großen Löffeln Zucker, sondern lediglich mit einem Schuss Milch trinke), diesen zusammen mit einem Marmeladebrötchen verschlingen, Arbeitsklamotten an und um 8 Uhr machen wir uns dann auf, über enge Trampelpfade zu unserer jeweilig zu versorgenden Parzelle. Da das 16ha große Grundstück am Hang liegt und wir unser Haus ziemlich weit unten haben, kann der Aufstieg allein – vor allem mit noch vorhandener Müdigkeit in den Knochen – kraftraubend sein.
Auf den Wegen durch das Gelände testet Gustavo immer mal wieder meine Fortschritte im Erlernen der vorkommenden Pflanzenarten. So hab ich gelernt eine Tara von einer Tipa zu unterscheiden, sowie unaussprechliche Namen wie Chilijchi zu beherrschen.
Bis mittags um 12 Uhr arbeiten wir in den Parzellen, schneiden Gras, entasten Sträucher und Bäume, messen Höhe und Durchmesser und erstellen Skizzen der Parzellen. Anschließend kehren wir zurück in unser Häuschen, schalten den Fernseher an (wie immer um diese Zeit laufen die Simpsons, unterbrochen von Nachrichten) und bereiten uns ein Mittagessen zu. Da nur eine von vier Herdplatten funktioniert, kann das etwas dauern. Danach verspeisen wir unsere Sopa de Maní (Erdnusssuppe), Pfannkuchen oder unsere Kreation aus Reis, Nudeln, gebratenen Bananen, Spiegelei und Salat. Bis jetzt war jedes Essen ein wahrer Gaumenschmaus!
Nach einem kurzen descanso geht es dann um 14 Uhr wieder an die Arbeit, die wir – je nach Tagesform und anstehender Arbeit – meistens kurz vor Anbruch der Dunkelheit gegen 18 Uhr beenden.
Neben diesen „typischen“ Tagen ist, war diese Woche aber auch für Abwechslung gesorgt: So stand am Donnerstag ein Intercambio de Experiencias (Austausch von Erfahrungen) zum Anlass der Feria de la manzana (Austellung rund um Äpfel) in Vinto auf dem Programm. Nach einer kurzen Einführung in der Alcadía (Rathaus) besichtigten wir zusammen mit anderen Interessierten drei Anbauflächen, die auf unterschiedliche Art und Weise Äpfel kultivieren.
Zuerst besichtigten wir ein sog. traditionelles System, in dem auf relativ kleiner Fläche große, alte Apfelbäume in Reih und Glied standen. Hier fehlte allerdings – was der Besitzer auch zugab – die Pflege. So hätten die Bäume dringend einen radikalen Verjüngerungsschnitt nötig, um wieder von neuem Kraft zu tanken.
Die zweite Station war eine relativ frisch angelegte Fläche, die mit etwas aktuellerem Wissen arbeitet. Hier waren die Bäume so geschnitten, dass sie nicht übermäßig hoch wachsen, um eine leichte Ernte zu ermöglichen. Außerdem waren an den Ästen Steine in Plastiktüten als Gewichte befestigt, damit diese mehr in die horizontale wachsen und somit den Fruchtansatz verstärken (je vertikaler ein Ast wächst, desto geringer der Fruchtansatz).
Dritte und letzte Station war schließlich bei uns in Mollesnejta, wo in zwei Parzellen auch Apfelbäumen in Assoziation mit anderen Frucht- und Holzbäumen sowie einheimischen acompañantes vorkommen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich sehr interessiert an dieser Anbaumethode, besonders an der guten Bodenqualität, die in 14 Jahren Agroforst erreicht wurde. Was mich jedoch etwas verblüffte, war, dass einige die heimischen Arten wie Chacatea oder Jacarandá nicht kannten, obwohl zumindest erstere wirkliche überall in der Gegend anzutreffen ist.
Auch hier im „ländlichen“ Bolivien (ok, wir sind im noch Teil der Großstadt Cochabamba, allerdings ist das Dorf Combuyo in meinen Augen schon relativ ländlich) scheint offenbar die Entwicklung vorzugehen, die ebenso in Deutschland zu beobachten ist: Über Generationen weitergegebenes Wissen – gerade auch über unsere Umwelt – geht poco a poco verloren.
Am Samstag stand dann noch ein Treffen des Agroforstnetzwerks ECO-SAF auf dem Programm. ECO-SAF ist ein 2008 von Noemi gegründetes bolivienweites Netzwerk, welches sich zum Ziel gesetzt hat Wissen über Agroforst aus allen Klimazonen Boliviens (und davon gibt es hier eine Menge – von tropisch, über subtropisch und semiarid, bis hin zu glazial in den höheren Lagen der Anden ist hier alles vereint) zu sammeln und zu erweitern.
Bei dem Treffen wurde in erster Linie die Evaluation verschiedener Agroforstbetriebe im Umkreis von Cochabamba vorgestellt. Die Bandbreite reichte dabei von einfachen Agroforstsystemen mit Bäumen um einen landwirtschaftlich genutzten Acker („Cerco vivo“), bis hin zu komplexen die Natur nachahmenden Systemen (wie es z.T. auch hier in Mollesnejta zu finden ist).
Dabei tauchten jedoch immer wieder dieselben Probleme auf: So brauchen die Betriebe im Schnitt um die 4-5 Jahre um erste nennenswerte Erträge zu erzielen. Diese Zeit muss ein Kleinbauer, der für seine Familie gerade genug für Essen, Wohnen und Schulbildung hat, erst einmal überbrücken können! Jedoch gibt es einige NGOs, wie z.B. Misereor, die die Kleinbauern bei der Umstellung auf Agroforstwirtschaft finanziell unterstützen.
Außerdem war ein Großteil der Betreiber (es handelte sich ausschließlich um Männer) schon im reiferen Alter von 50+. Da es die Mehrheit ihrer Söhne und Töchter in die Stadt nach Cochabamba zum studieren oder arbeiten zieht, fehlt somit oft der Nachwuchs, der den Betrieb weiterführen kann und somit auch der Anreiz auf ein nachhaltiges Bewirtschaften (vor allem in ökonomischer Hinsicht durch den Anbau verschiedener Produkte mit unterschiedlicher Erntezeit) der vorhandenen Flächen.
Auf dem Seminar habe ich gesehen, dass es vor allem bei Umsetzung und Promotion von Agroforst für Kleinbauern, noch einiges zu tun gibt!
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