Agroforst ist die Kombination aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft, eine naturnahe und ressourcenschonende Anbautechnik. Espacio COmpartido en Sistemas AgroForestales – ECOSAF ist ein Agroforst-Netzwerk in Bolivien, das aus Deutschland von SCHEUNE e.V. und NATUREFUND unterstützt wird und sich seit elf Jahren für die Verbreitung dieser nachhaltigen Technik zur ökologischen Nahrungsmittelproduktion einsetzt.
Im November 2019 stand Bolivien aufgrund von Wahlunstimmigkeiten vor einem Bürgerkrieg. Der Riss verlief zwischen der indigenen, ländlichen und der überwiegend hellhäutigen, städtischen Bevölkerung. Die Indigenen wollten ihren davongelaufenen Präsidenten behalten, die eher intellektuell geprägte Bevölkerung übte seit einigen Jahren Kritik an der sich stetig vermehrenden Machtfülle und dem Personenkult eben dieses Präsidenten und verlangte nach einem Regierungswechsel. Die Zivilgesellschaft von Bolivien war und ist immer noch tief gespalten.
Für den 7. bis 9. November 2019 hatte das Agroforst-Netzwerk ECOSAF mit anderthalbjährigem Vorlauf den diesjährigen sechsten Agroforstkongress geplant. Aufgrund der Unruhen im Land war jedoch die Durchführung dieser Veranstaltung zum geplanten Termin nicht möglich. Anfang Dezember herrschte wieder einigermaßen Ruhe in Bolivien, wenn auch eine angespannte Ruhe. Kurz entschlossen wurde alles daran gesetzt den Agroforst-Kongress am 8. und 9. Dezember durchzuführen – gemäß den freien Tagen im Kalender des Imkers Pablo Astorga, der mit seinem Vortrag zum diesjährigen Motto beitragen sollte: Agroforstsysteme – ein Beitrag für die Restauration von Ökosystemen und eine Alternative für eine nachhaltige Wirtschaftsform. Auch sollten die Spendengelder für den Kongress bestimmungsgemäß noch in diesem Jahr eingesetzt werden, darunter die Mittel von SCHEUNE e.V. und NATUREFUND.
Ein weiterer Grund für die Durchführung des Kongresses so kurz nach den Unruhen war eine E-Mail an ECOSAF mit der inständigen Bitte den Kongress durchzuführen, da das Thema Agroforst so wichtig sei in diesen Zeiten der Klimaveränderung, die Bolivien besonders stark betreffen und um Alternativen aufzuzeigen für die Wiederaufforstung der zwischen Juli und September 2019 verbrannten über fünf Millionen Hektar Wald im bolivianischen Tiefland.
Und so wurde der sechste Agroforstkongress des ECOSAF-Netzwerkes, organisiert von seinen fünf zentralen Mitgliedern, zu einer zweitägigen Veranstaltung des Austausches und der Versöhnung zwischen Stadt und Land, Bauern sowie Bäuerinnen und Intellektuellen, Studenten, Beratern und Experten. Rund 200 Teilnehmende kamen zum Kongress, der in der Granja Modelo Pairumani stattfand, dem vor etwa 100 Jahren errichteten landwirtschaftlichen Modellbetrieb des Zinnbarons Simon I Patiño im Tal von Cochabamba. Im Vordergrund standen an diesen zwei Tagen statt politischer Querelen der Austausch über eine Landwirtschaftsmethode, in der Synergieeffekte zwischen so verschiedenen Pflanzenarten wie Bäume und Ackerfrüchte genutzt werden. Ähnlich einer Gruppe Menschen, die mit ihren verschiedenen Talenten gemeinsam Großes erschaffen können, ist ein Agroforst-Konsortium verschiedener Pflanzenarten mehr als die Summe seiner Teile.

Der Beitrag des Imkers Pablo Astorga über das Imkern als Förderung der Wiederaufforstung stand im Mittelpunkt des Kongresses und war ein passendes Thema angesichts der verheerenden Feuer im Land nur zwei/drei Monate zuvor.
Maurico Azero, Agraringenieur und Bodenexperte, stellte die Resultate einer von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit finanzierten Agroforst-Studie vor, für die er und sein Forschungsteam, darunter die Autorin dieses Berichtes und der Agroforst-Versuchsbetrieb Mollesnejta (www.mollesnejta.org) im September 2019 mit dem Premio Plurinacional de Ciencia y Tecnología des in Bolivien für Forschung zuständigen Ministeriums ausgezeichnet worden waren. Herausragende Ergebnisse sind: (1) Agroforstsysteme in den humiden Tropen speichern Kohlenstoff überwiegend in ihren Kronen; dagegen speichern Agroforstsysteme in semiariden Zonen, wie die Andentäler, Kohlenstoff vor allem über das große Wurzelwerk im Boden, womit dieser eher der Rückführung in die Atmosphäre entzogen ist; mit anderen Worten: Agroforstsysteme in Trockenregionen sind eine wirkungsvollere Kohlenstoffsenke als Agroforstsysteme in Regenwaldregionen; (2) bei Agroforstparzellen, in der die Bäume in Reihen gepflanzt sind, ist der Bodenhumus im Bereich der
Baumreihen höher als auf den Ackerflächen dazwischen, wobei sich auf der gesamten Fläche die Bodenparameter stetig verbessern und ein erhöhter Humusgehalt gleichbedeutend ist mit einer erhöhten Bodenfruchtbarkeit und hoher Bodenwasserspeicherfähigkeit; (3) in einer Baumreihe, in der
in einem Abstand von 1,0 bis 1,5 Meter abwechselnd verschiedene Arten von Obstgehölzen und Begleitbaumarten gepflanzt sind, ist keine Konkurrenz messbar, wohl aber bei derselben Anordnung von nur Obstgehölzen der gleichen Art. Was insofern logisch ist, da gleiche Arten die gleichen Nährstoffbedarfe haben und deshalb zur Nachbarpflanze in Konkurrenz stehen, während verschiedene Arten den Boden unterschiedlich nutzen oder sogar durch ihre Symbionten bereichern.
Am Nachmittag desselben Tages wurden verschiedene Agroforstsysteme besichtigt, darunter auch das in dieser Region erste Agroforst-Feld, das mit dem Traktor befahrbar ist. Avocado-Bäume, Zitronenbäume und neun verschiedene Arten von Begleitbäumen stehen der Höhenlinie gemäß in der Reihe, dazwischen liegt ein fünf Meter breiter Streifen auf dem Futtergetreide angebaut wird. Die ökonomischen Daten machen eine solche Anbaumethode, die sich ab dem dritten Jahr rentiert und gleichzeitig den Boden restauriert, auch für größere landwirtschaftliche Betriebe interessant.

Am Vormittag des Folgetages gab es vier Themenbereiche mit Inputvorträgen und Austausch: (1) Imkerei, (2) Agroforstsysteme in den humiden Tropen, (3) die Praxis von Agroforstsysteme in der Andenregion und (4) wissenschaftliche Studien über Agroforstsysteme in den Anden. Die Ergebnisse dieser runden Tische wurden zum Inhalt einer Verkündigung, die am Nachmittag dem abschließenden Plenum vorgestellt wurde. Darin finden sich als zentraler Punkt die Aufforderung an die verschiedenen Regierungsebenen angesichts des Klimawandels Agroforst zu fördern, um die Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Zudem sollten die Umweltdienstleistungen der Agroforstsysteme anerkannt werden. In Frankreich zum Beispiel werden Agroforstsysteme bestehend aus einem Getreidefeld mit Wertholz-Baumreihen deshalb gefördert, weil Messungen erwiesen haben, dass die Bäume mit ihrem Wurzelbalg unterhalb der Getreidewurzeln die Ausschwemmung von Stickstoffdünger auffangen und somit die Nitrat-Kontaminierung des Grundwassers mindern.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit die Bauern – Groß und Klein – sich auf Agroforst einlassen. Denn auch wenn die Parzellen mit dem Traktor befahrbar sind, so gibt es noch genug Handarbeit bei Baumschnitt und Ernte. Besonders arbeitsintensiv sind die artenreichen und dicht bepflanzten dynamischen Agroforstsysteme, wobei gerade diese einen total ausgelaugten Boden in wenigen Jahren gesunden lassen; ein weiteres Ergebnis der oben genannten Studie.
Nachhaltigkeit bedeutet unter anderem den nachfolgenden Generationen fruchtbare Böden zu hinterlassen und damit Nahrungssicherheit und Wasserverfügbarkeit zu gewährleisten, ganz abgesehen von der Biodiversität der Flora und Fauna.

Zum Abschluss des Agroforstkongresses reichten alle Teilnehmenden ihren Nachbarn die Hand und bildeten eine lange Friedenskette. Dies war ein sehr emotionaler Moment der gleichzeitig die gemeinsame Stärke spüren ließ.
Agroforst ist verbindend! Die Bäume machen es uns vor; besser gesagt: die Natur lehrt uns auf Schritt und Tritt Kooperation. Das Motto: „Gemeinsam sind wir stark“ gilt genauso für den Acker wie für die Gesellschaft. Nach den Unruhen in Bolivien, als zwischen den Menschen Misstrauen, Angst und Aggression vorherrschten, war dieser Agroforstkongress ein Lichtblick für eine kooperierende, sich auf Augenhöhe austauschende, diversitätsreiche Zivilgesellschaft, die gemeinsame Anstrengungen unternimmt für ein Gutes Leben* heute und in Zukunft.
Etwas eine Woche nach dem Kongress hat das Fernsehen der Universidad Mayor de San Simón in Cochabamba folgendes Interview mit José Sánchez Ponce, dem Koordinator des ECOSAF-Netzwerkes und der Autorin dieses Berichtes aufgezeichnet: https://www.youtube.com/watch?v=tlq_t48r9GI
* Gutes Leben: ein Begriff der indigenen Weltanschauung und in der Verfassung von Bolivien festgeschrieben; er bedeutet eine materielle, soziale und spirituelle Zufriedenheit für die Mitglieder einer Gemeinschaft, die nicht auf Kosten anderer Menschen noch auf Kosten der natürlichen Ressourcen gehen; kann verkürzt als Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie mit der Natur begriffen werden.
Hier gibt es diesen Bericht auch als pdf-Datei – er kann gerne heruntergeladen und weiterverbreitet werden!
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