Tapacarí
Der Weg nach Tapacarí ist beschwerlich. Von der Hauptstraße von Cochabamba nach La Paz zweigt man ab auf eine Schotterpiste, der man dann ca. 1,5 Stunden rauf und runter entlang eines Flusses folgt. Rundherum sind Berge, man befindet sich in den östlichen Anden-Kordilleren mal etwas unter, mal etwas über 3000 Metern. Tapacarí ist eine Provinz des Departments Cochabambas und eine der ärmsten Gegenden Boliviens. Die ungefähr 24 000 EinwohnerInnen sind auf viele Bergrücken verteilt, die Bevölkerungsdichte beträgt nur knapp 17 Personen/km2. Der Großteil der Menschen, die hier leben sind Indigene: Quechua und teilweise auch Aymara. Sie betreiben hauptsächlich Subsistenzwirtschaft mit Kartoffeln, Bohnen, Hafer und Getreide. Viele haben eine Schafherde oder ein paar Ziegen oder Schweine. Einige wenige haben auch Esel oder kleine Pferde für den Transport oder ein paar Kühe. Manchmal gibt es auch Arbeit bei verschiedenen Bauprojekten der Provinz, wie momentan zum Beispiel eine Mauer am Flussufer, die vor Überschwemmungen in der Regenzeit schützen soll. Die Berghänge sind meist mit Gräsern und Sträuchern bewachsen, manchmal sieht man auch kleine Eukalyptus- und Kiefernwälder. Dazwischen schlängeln sich breite Flussbetten, in denen jetzt in der Trockenzeit meist nur kleine Bäche fließen, die sich aber in der Regenzeit ab November, Dezember füllen und zu reißenden Flüssen werden. Das Gestein der Flüsse ist sehr mineralsalzhaltig: auf den Feldern entlang der Flüsse, die über diese bewässert werden, sind weiße Salzablagerungen zu sehen. Auf der langen Fahrt sieht man auch immer wieder mal Wasser aus dem rötlichen Gestein kommen und manchmal auch kleine Felder mit einer dunklen, lehmigen Erde, Boden ist also meistens vorhanden.

Der Agroforstkurs
Noemi Stadler-Kaulich (Mollesnejta) wurde vom Büro für „Desarollo productivo“ (Produktive Entwicklung) der Provinz eingeladen, einen Agroforstkurs für die Bauern und Bäuerinnen einiger Gemeinden zu geben. Über ein Projekt der Provinz haben sie geholfen, Kiefern zur Wiederaufforstung einiger Berghänge zu pflanzen. Im Gegenzug dazu haben sie Apfel- und Pfirsichbäume für ihre Gärten erhalten. Ziel des Kurses war es, die Pflanzungen zu begutachten und Ratschläge zu geben, wie sie verbessert werden könnten.
Am ersten Tag trafen wir nach ca. einer halben Stunde Fahrt ab Tapacarí-Dorf am Ort des ersten Kurses ein. Wir wurden schon von einigen Bauern und Bäuerinnen erwartet und gemeinsam stiegen wir von der Straße um die 200 Höhenmeter in Richtung Fluss zu einer Obstparzelle ab. Insgesamt nahmen ungefähr 45 Personen aus 4 verschiedenen Gemeinden am Kurs teil, von denen etwas mehr als die Hälfte Männer waren. Das Team bestand aus drei Angestellten der Provinzverwaltung und Noemi Stadler-Kaulich als Expertin in Agroforstsystemen. Der Kurs dauerte ca. drei Stunden und wurde zum großen Teil auf Quechua abgehalten. Die Ausführungen von Noemi auf Spanisch wurden übersetzt.
Am Nachmittag fand eine Besichtigung der neugebauten Baumschule in Tapacarí-Dorf statt. Zur Anschauung wurden auch auf dem Vorplatz Obstbäume gepflanzt. Dort fand der zweite Kurs mit anderen Gemeinden statt. Zu diesem kamen jedoch nur ca. 10 Personen, wodurch er auch kürzer ausfiel und nach einer Stunde wieder beendet war.
Der zweite Kurstag begann mit einer zweistündigen Fahrt an den Rand der Provinz. An einem Flussufer, der die Grenze zum Department La Paz bildet, trafen wir die BewohnerInnen verschiedener Gemeinden. Knapp 30 Personen, davon fünf Frauen, nahmen an diesem Kurs teil, der wiederum in einer Obstparzelle eines Teilnehmers stattfand. Der Kurs dauerte insgesamt drei Stunden und endete mit einem gemeinsamen Essen, bei dem alle gekochte Kartoffeln, Bohnen und Reis miteinander teilten.
Besprochene Themen:
- Vorteile von Agroforst: der Nutzen von Begleitbäumen zwischen Obstbäumen
- Baumschnitt
- Schutz der Parzelle vor Wind und Erosion: lebendige Zäune, Terrassierung durch kleine Steinmauern
- Schädlinge (Insekten, wilde Meerschweine)
- Nutzungskonflikte: wie man das Vieh davon abhalten kann, in der Obstparzelle herumzulaufen
- Größe der Pflanzlöcher
- Konkurrenz zwischen Obst- und Begleitbäumen

Die Kursmethodik
Ziel des Kurses war, den Bauern und Bäuerinnen die grundlegenden Prinzipien von Agroforst anschaulich zu erklären und ihnen so Möglichkeiten für ein zusätzliches oder gesteigertes Einkommen durch den Verkauf von Früchten zu bieten. Angepasst an das niedrige Bildungsniveau der TeilnehmerInnen wurde mit Beispielen vor Ort und einprägsamen Vergleichen gearbeitet.
- Bäume-Aufstellung
Je eine Person kniet an einer Ecke eines 4×4 Meter-Quadrats. Sie werden gefragt: „Stellt euch vor, ihr seid kleine Obstbäume. Alleine, Wind und Sonne ausgesetzt. Wie fühlt ihr euch?“ Nach und nach werden Personen als Begleitbäume dazwischen gestellt. Diese wachsen schneller und geben den Obstbäumen Schatten und Windschutz. Über die Wurzeln können die Bäume kommunizieren, der Abstand zwischen den einzelnen Bäumen ist jetzt nicht mehr so groß wie vorher.
- Vergleich kleine Bäume – kleine Kinder
„Kleine Bäume sind wie kleine Kinder. Würdet ihr eure Kinder alleine lassen? Genauso wie wir uns um unsere Kinder kümmern, müssen wir uns auch um unsere Bäume kümmern“
- Komplexe Themen wurden auf einfache Merksätze heruntergebrochen:
- Bäume brauchen Nährstoffe aus dem Boden, um wachsen zu können: „Ein Apfelbaum, der nichts zum Essen bekommt, wird keine Früchte geben. Ein Pfirsichbaum, der…“
- Die Kreisläufe vor Ort sollten möglichst geschlossen sein: „Es ist wichtig, dass alles am selben Ort bleibt“
- Erklärung der Interaktion von Obst- und Begleitbaum (auf die Frage hin, ob es nicht zu einer Konkurrenzsituation kommt): „Der Molle kocht das Essen für den Apfelbaum. Wir helfen uns: ich esse Früchte, du isst Fleisch, wir haben verschiedene Bedürfnisse, es gibt keine Konkurrenz.”
- Mulchen: es ist wichtig, dass im Umkreis des Baumes der Boden bedeckt ist, um die Evaporation zu vermindern und dem Boden gleichzeitig Material zum Humusaufbau zu geben: „Wenn wir schlafen, wollen wir auch warme Füße haben“. Daraus wurde die Aufforderung, die Füße der Pflanzen zu bedecken abgeleitet.
- Umsetzung der Vorschläge an Ort und Stelle
Gemeinsam wurde eine kleine Mauer zur Terrassierung gemacht. Noemi hat die Probe gemacht: eine Hand voll Steine auf den Boden fallen lasse, sie wurden von der Mauer aufgehalten. Genauso wird die Mauer die Erde aufhalten, wenn es stark regnet.


Beobachtungen
- Immer wieder wurde der Vergleich zwischen Menschen und Pflanzen hergestellt. Das Leben der Menschen kennen wir, ist uns vertraut. à Durch den Vergleich mit etwas Bekanntem sind neue Dinge schnell verständlich und einprägsam.
- Oft haben die beiden Mitarbeiter der Provinz nicht nur Noemis Aussagen aus dem Spanischen ins Quechua übersetzt, sondern zu zweit in ihren eigenen Worten nochmal ausgeführt und wiederholt. à Denn in der Kultur der Quechua zeigt sich die Bedeutung einer Aussage anhand der Häufigkeit der Wiederholungen.
- Es wurde immer wieder direkt der Besitzer der Parzelle oder andere Personen angesprochen, gefragt. à Durch direktes Einbinden wird versucht, das Verständnis für und die Beschäftigung mit dem Thema zu stärken.
- Es wurde nie Befehle oder Anweisungen gegeben, sondern immer nur Vorschläge und Ideen gebracht, wie sie ihre Obstpflanzungen verbessern könnten. Es wurde auch ausdrücklich gesagt, dass es sich um Vorschläge handelt: „Das sind gut gemeinte Beobachtungen! Es ist keine Verpflichtung, es sind Vorschläge. Es hängt von jedem einzelnen ab. “ à Aus Respekt vor ihren Bemühungen und ihrem Wissen und um die Bauern und Bäuerinnen nicht zu verärgern.
- Noemi hat die Bauern und Bäuerinnen öfters gelobt, sie bestärkt und auf ihre Vorfahren verwiesen: „Ihr habt schon das ganze Wissen, es fehlt nur die Anwendung!“ Die Mitarbeiter der Provinz haben appelliert, dass sie alle möchten, weiterhin hier als Bauern und Bäuerinnen leben zu können. Auch Verkaufsmöglichkeiten wurden aufgezählt: “Wir können hier besser leben als in der Stadt!“ „Die Menschen, die hier leben, müssen nicht arm sein!” (Noemi) à Es wurde versucht, sie in ihrer Lebensweise und ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Es wurde von Seiten der Provinzverwaltung auch gesagt, dass deren Ziel ist, die Abwanderung, vor allem in die Stadt, zu bremsen.

Was ich gelernt habe
- Es ist breites Wissen über die Kultur notwendig, um sich in einem Kurskontext wie diesem angemessen verhalten zu können und um das Ziel, die Weitergabe von Wissen, zu erreichen.
- Die Menschen müssen einen wirtschaftlichen Nutzen in ihren Bemühungen sehen, nur dann werden sie bereit sein, sie umzusetzen und Agroforst anzuwenden.
- Spontan sein! Wir wussten kaum, was uns erwartet, als wir in Tapacarí ankamen. Es ist also notwendig, spontan auf die Gegebenheiten vor Ort und die Erwartungen der Menschen einzugehen. Man arbeitet mit dem, was vor Ort vorhanden ist: Pflanzenarten, Boden, Wissen. („Die erste Frage ist: was gibt es vor Ort? Die nativen Pflanzen zeigen uns, wie der Boden beschaffen ist.“)
- Die Menschen immer mit großem Respekt behandeln, ihr Wissen und ihre Geschichte wertschätzen. Sensibel mit dem kolonialen Kontext umgehen.
- Klar und deutlich sein in den Ausführungen, einfache, merkbare Sätze oft wiederholen.
- Im Gespräch mit den Verantwortlichen und Projektleitern gibt es die Möglichkeit, direkter Dinge anzusprechen, neue Ideen einzubringen und zu versuchen, etwas zu bewegen.
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