Autor: Denis De La Barra
Übersetzung: Noemi Stadler-Kaulich
Die Menschheit ist Teil der Natur und sollte nicht weiter Raubbau an ihr betreiben. Das gilt insbesondere auch für die Böden. Es gibt Alternativen zur Agroindustrie, die die Ressource Boden zerstört; zum Beispiel Agroforst.
Etwa 40 km entfernt der Großstadt Cochabamba im Hochland von Bolivien lebt der Kleinbauer Jacinto mit seiner Frau Magnolia und den drei jugendlichen Kindern Arawi (16), Tarco (14) und Paqar (12). Ihre letzte Ernte war auf den mageren Ackerböden wegen Regenmangel schlecht ausgefallen und der Kauf von Pflanzenschutzmitteln hatte ein großes Loch in die Haushaltskasse gerissen. Deshalb hatte Magnolia sich entschließen müssen auf dem Markt Produkte, die sie im Großhandel erstanden hat, weiterzuverkaufen.
Eines Tages, kurz vor der Regenzeit, traf Jacinto seinen Nachbarn Tomas, der ständig zwischen seinen Äckern im Hochland und Tiefland pendelt. Dieser erzählte Jacinto von einer neuartigen Anbaumethode, in der auch Bäume in die landwirtschaftliche Nutzungsfläche einbezogen werden. Die Bäume würden den Boden vor Erosion durch Wind und Platzregen schützen, ein wohltuendes Mikroklima in der Parzelle bewirken, den Einsatz von Agrochemie verringern, da die natürlichen Nützlinge sich wieder ansiedeln und zudem würde sich die Bodenfruchtbarkeit verbessern. Und weil er so überzeugt sei von dieser neuen Produktionsmethode, wolle er, Tomas, diese jetzt auch auf seinen Äckern hier im Dorf einsetzen.
„Demnächst wird ein Freund kommen, der sich sehr gut darin auskennt“, sagte Tomas. „Warum bist du nicht einfach dabei und lernst mit mir die Anwendung von Agroforst?“ fragte er Jacinto.
„Klar, ich bin dabei, sag mir Bescheid wann ich kommen soll“ lautete dessen Antwort.
Als Tomas beim Nachhauseweg an seinen Äckern vorbeikam dachte er: „Diese grauverbrannten Äcker sollen in einigen Jahren wieder fruchtbar sein können? Na ja, ich kann’s ja mal versuchen. Zu verlieren habe ich ja nichts.“
Ein paar Tage später kam Tomas mit seinem Freund Felipe, dem Wissenden über den nachhaltigem Landbau mit Bäumen und Sträuchern, zu Jacinto und gemeinsam gingen sie zu einem seiner nächstgelegenen Äcker. Magnolia und die drei Kinder hatten sich ihnen angeschlossen. Auf dem Acker nahm Felipe eine Handvoll Erde und zeigte sie herum: „Hier in dieser Erde sind alle Nährstoffe enthalten, die unsere Anbaukulturen zum Wachsen benötigen. Ich frage euch: was passiert, wenn ich über die Ernte dem Boden immer Nährstoffe entnehme, aber nicht wieder zuführe?“
Die Antwort von Jacinto erfolgte schnell: „Es gibt immer weniger Ernte“:
„Genau, das ist es,“ erwiderte Felipe. „Schauen wir doch mal in das Wäldchen dort in der Schlucht. Jedes Blatt, das darin auf den Boden fällt besteht aus Nährstoffen, die die Pflanze dem Boden entnommen hat. Die dortigen Bäume erhalten also über den Blattfall, der sich mit der Zeit zersetzt, immer wieder zurück, was sie dem Boden entzogen haben. Deshalb ist dort der Boden immer fruchtbar und feucht. Ja, er wird sogar immer fruchtbarer, denn die Wurzeln dringen mit jedem Jahr tiefer in die Erde hinein, um sich mit den Nährstoffen für ihr Wachstum und ihre Blätter zu versorgen. Die Blätter fallen dann als Laub auf die Erdoberfläche und schützen diese zuerst als Mulchdecke, so dass die Erde weder austrocknet, noch die Nährstoffe ausgewaschen werden. Später düngen diese Blätter durch ihre Verkompostierung den Boden.
Jacinto begriff folgendes sofort: „Ja, wenn die großen, schweren Regentropfen durch die Blätter der Bäume zernebelt werden, dann ist ihre Wucht auf den Boden abgeschwächt und sie können keine Erosion mehr verursachen.“
„Genauso ist es. Deshalb ist es so tragisch, dass wir die Bäume rund um unsere Äcker abgeholzt haben. Klar, nun kann der Traktor besser in den Ecken pflügen, aber die natürliche Schutzdecke des Bodens ist dadurch zerstört. Wenn es jetzt regnet, dann kann das Wasser nicht so schnell in den Boden einziehen, wie es auf die Erde platscht und wenn dann das Regenwasser wegen der Hanglage in Bächen abläuft schwemmen darin die Bodennährstoffe unwiederbringlich fort. Die Vegetation rund um die Äcker war auch deshalb sinnvoll, weil darin alle Nützlinge ihr Habitat hatten und so die schädlichen Insekten auf natürliche Weise bekämpft wurden. Wir haben also das natürliche Gleichgewicht empfindlich gestört und müssen nun chemische Pflanzenschutzmittel einsetzen, die wiederum in die natürlichen Abläufe eingreifen. So ist der Kunstdünger kein Ersatz für den Kompost, denn er enthält nicht alle Nährstoffe, die die Anbaukulturen benötigen. Diese sind aufgrund der Mangelernährung wiederum geschwächt und werden eher von Schadinsekten und Krankheiten befallen. Das lässt uns wieder um zu Schädlingsbekämpfungsmitteln greifen und so schaden wir mehr und mehr unserer Lebensgrundlage, dem Ackerboden.
„Was können wir den jetzt machen?“ rief Jacinto’s Sohn Paqar.
„Nun, wir müssen erreichen, dass wir unsere Äcker in Harmonie mit der Natur bestellen,“ war die Antwort.
„Und wie soll das gehen?“ fragte Jacinto.
„Die landwirtschaftliche Produktion muss ähnlich durchgeführt werden wie wir es in der unberührten Natur beobachten können. Das bedeutet, es werden einheimische Bäume und Sträucher, Obstgehölze, Getreide, Kartoffeln und Gemüse in Mischkultur angebaut. Die Blätter der Bäume düngen den Boden von oben und unter der Erde unterstützen die Wurzeln der einheimischen Arten, die gut an das hiesige trockene Klima angepasst sind, die Obstgehölze und das Getreide und Gemüse. Diese Kombination aus Bäumen, Sträuchern und Anbaukulturen nennt man Agroforst. Agro bedeutet Landbau und mit Forst sind die unterstützenden Bäume gemeint.“
„Mhm, irgendwie leuchtet mir das ein. Ich bin interessiert es auszuprobieren, was meinst du, Magnolia?“ wandte Jacinto sich an seine Frau.
„Lass uns noch darüber beraten, es wird bestimmt nicht gratis sein“ war deren Antwort.
„Gut, dass du das ansprichst, Magnolia,“ griff Felipe das Thema auf. „Ihr sollt wissen, dass ich für meine Beratung nichts verlange. Die ist für meinen Freund Tomas, dem ich was schuldig bin. Ihr macht in eurer Parzelle alles so wie er es euch vormacht und so könnt ihr lernen wie es geht. Es gibt allerdings eine Bedingung: ein Maschendrahtzaun rund um die anzulegende Parzelle. Denn sobald euer Schwein oder eure Hühner darin wühlen ist alle Arbeit für die Katz‘. Die Bäume, Obstgehölze und das Saatgut müsst ihr ebenfalls auf eigene Rechnung kaufen. Ruft mich, wenn ihr soweit seid, ich bin die ganze Woche bei meinem Freund Tomas zu finden“.
Das Gespräch zwischen Jacinto und seiner Frau Magnolia ergab, dass sie die Investition wagen wollten, vor allem auch, weil ihre drei Kinder von der Idee begeistert waren. Arawi wollte für das Gemüse verantwortlich sein. Die beiden Buben freuten sich sehr auf das Obst.
Ein paar Tage später war der Zaun rund um eine nahe gelegene Ackerparzelle aufgestellt. Felipe kam und zeigte Jacinto und seiner Familie, wie man die Implementierung einer Agroforstparzelle plant.
„Du nimmt ein Papier mit Kästchen,“ sagte Felipe zu Jacinto. „Jedes Kästchen zählt einen Meter. Deine Parzelle ist 30 Meter lang und 20 Meter breit und somit 600 Quadratmeter groß. Nun werden wir die Baumreihen in die Parzelle eintragen. Höhere Bäume und Obstgehölze benötigen sechs Meter Abstand, für mittelhohe Bäume und niedrige Obstarten genügen drei Meter. Letztere können wir also in die Reihe zwischen die höheren Arten stellen. Dazwischen, also auf 1,5 Meter Abstand werden Beeren oder heimische, beziehungsweise stickstofffixierende kleine Bäume oder Büsche gepflanzt. Wichtig ist, dass in der Reihe verschiedene Obstbaumarten stehen und auch die heimischen Bäume und Sträucher möglichst viele verschiedenen Arten einbeziehen. Zwischen den Reihen lässt man am besten fünf oder sechs Meter Platz für den Gemüseanbau.
Wenn dein Boden relativ frei von Steinen ist können die Pflanzlöcher für die Obstgehölze 60 cm tief sein und 60 cm Durchmesser haben. Falls das Gelände steinig ist müssen sie 1 mal 1 Meter groß sein und alle Steine herausgesiebt werden. Das Substrat für diese Löcher sollte mit Kompost angereichert werden. Für die heimischen Begleitarten genügen Löcher von 50 x 50 cm, denn deren Wurzeln sind stark und sie sind generell besser angepasst an unser hiesiges semiarides Ökosystem. So, jetzt könnt ihr aussuchen welche Obstsorten ihr in der Parzelle haben wollt und auch die Begleitbaumarten bestimmen, am besten eine bunte Mischung aller heimischen Gehölze. Günstig sind auch luftstickstoffbindende Arten, die Leguminosen. Davon gibt es Bäume und Sträucher. Stellt euch also eure Pflanzenauswahl nach Wunsch zusammen und denkt immer auch an die Begleitbäume und -sträucher, deren Aufgabe es ist die Erde in der Parzelle fruchtbar zu halten. Ganz wichtig ist die Obstbäume nur in ausgesuchten Baumschulen zu kaufen, damit ihr sicher sein könnt gesunde Pflanzen zu erhalten.“
Nach einigen Tagen waren die Pflanzlöcher vorbereitet und alle Pflanzen gekauft. Als dann die Regenzeit begann wurde in den frühen Vormittagsstunden und den späten Nachmittagen gepflanzt, denn bei Sonne kann dies bei Jungpflanzen viel Stress verursachen. Felipe zeigte Jacinto und seiner Familie am ersten Pflanztag wie man Bäumchen richtig pflanzt, und dass man jede Pflanze nach der Auspflanzung mit einem Eimer Wasser gießt und danach die Baumscheibe mit Mulchmaterial abdeckt, damit die Erde um die Bäumchen herum schön temperiert und feucht bleibt.
Als die gesamte Parzelle bepflanzt war kam Felipe, um sie sich anzuschauen. Er lobte die geleistete Arbeit, machte jedoch folgende Anmerkung: „Die Erde zwischen den kleinen Bäumen liegt nackt und schutzlos, das heißt am Tag brennt die Sonne drauf und in der Nacht kühlt sie aus. Ihr solltet sie genauso wie die Baumscheiben mit Stroh oder einem anderen Mulchmaterial abdecken. Damit erspart ihr euch auch das Jäten, denn unter einer dicken Mulchschicht wächst wegen dem Lichtmangel nichts. In den Zwischenräumen der Baumreihen sehe ich Furchen. Dort habt ihr sicherlich Gemüse, Getreide und Mais ausgesät. Das ist gut. Wenn ihr erntet, lasst am besten alle Ernteabfälle und das Stroh auf dem Boden der Parzelle liegen. Das hilft dem Boden sich zu regenerieren.“
„Tja,“ erwiderte Jacinto. „Wir sind halt gewohnt keinen sogenannten Abfall auf der Erde liegen zu lassen; hierin müssen wir wohl umdenken lernen.“
„Ja, darin müsst ihr unbedingt umlernen!“ sagte Felipe. „Organisches Material ist kein Unrat, sondern im Gegenteil sehr wertvoll, denn daraus wird fruchtbare Erde. Und die bringt euch gute Ernten. Zwischen den Baumreihen könnt solange die Bäume klein sind säen was ihr wollt. Nur eines solltet ihr beachten: Wo ihr dieses Jahr Kartoffeln gesetzt habt, dort sät ihr im kommenden Jahr etwas anderes aus, zum Beispiel Erbsen oder Bohnen. Ihr könnt auch Mais mit Bohnen mischen. Wichtig ist, dass ihr verschiedene Feldfrüchte zwischen die Bäume und Sträucher setzt. Dann kann sich kein Schadinsekt so vermehren, dass es Schaden anrichtet.“
Jacinto, Magnolia und ihre drei Kinder gaben sich in den kommenden Jahren redliche Mühe mit ihrer Agroforstparzelle, und diese Mühe wurde von reichhaltigen Ernten belohnt. Jedenfalls fehlte es nicht an Gemüse und Kartoffeln für den Kochtopf. Die Obstgehölze benötigten ihre Zeit bis zum ersten Fruchtansatz. Zwar blühten sie bereits im zweiten Jahr, aber Magnolia zupfte alle Blüten ab, da die Obstgehölze zuerst groß und stark wachsen sollten. Alle lernten sie dazu und die gemeinsame Arbeit in der Agroforstparzelle gehörte rückblickend zu den schönsten Momenten ihres Alltags. Zwar lachten die Nachbarn anfangs über die Parzelle, vor allem über die Unordnung in der Pflanzenanordnung und auch über die Mulchdecke auf den Baumscheiben, denn für sie war es ungewohnt dort Grünabfall und Obstschalen zu sehen. Als sie aber erkannten, dass die Erntemenge aus der Parzelle ständig mehr wurde, obwohl Jacinto keine Ausgaben für Kunstdünger hatte und sich dort auch keine Schadinsekten tummelten, obwohl Jacinto keine Pestizide mehr kaufte, wurden sie neugierig und nicht wenige fassten den Mut es Jacinto nachzumachen.
Jetzt ist es an der Zeit für Veränderungen.
Es liegt an dir und an mir diese einzuleiten.
Fangen wir damit an!
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