Am 1. August, abends: Es war gerade dunkel geworden, ich saß vor dem Laptop als mein Handy klingelte. Leonardo war dran; er führt seit vergangener Woche einige Maurerarbeiten in Mollesnejta aus und war nach seiner Tagesarbeit zurück in seinem Dorf unten bei Vinto angekommen: „Der Berg oberhalb von Mollesnejta brennt!“ schreit er mir ins Ohr.
Ich sause auf die Terrasse und wahrhaftig, rothelle Flammen lodern oben am Berg. Innen klingelt schon wieder das Handy, Doña Crecencia, unsere Köchin, die unten im Pförtnerhaus wohnt ist dran: „Doña Noemi, es brennt oben am Berg!“ Ich rufe Mateo, den Praktikanten aus Frankreich, der bei mir im Berghaus sein Zimmer hat, hole mit ihm zwei Rückenspritzen, die mit Wasser gefüllt werden und beauftrage ihn die Holzstapel in der Köhlergrube, die nicht weit vom Berghaus entfernt liegt, zu nässen. Dann nehme ich das Handy und rufe alle Feuer-Notfall-Nummern auf einer Liste an, die ich jährlich aktualisiere. Nur drei der 10 Angerufenen nehmen ab. Bei den anderen lässt mich die Telefonstimme wissen, dass der Teilnehmer nicht zu erreichen ist. In dem Fall schicke ich eine WhatsApp oder SMS. An Bastian vom Berghotel CAROLINA, der telefonisch ebenfalls nicht erreichbar ist, schicke ich beides, denn sein Hotel liegt wie Mollesnejta unten am Hang. Auch bei meinem Sohn Mirko, der in SipeSipe wohnt, rufe ich an und bitte ihn herzukommen, denn nur er kann die Feuerwehrpumpe bedienen. Er ist bereit zu kommen, obwohl er einen wehen Fuß hat, denn vor ein paar Tagen ist ihm der Wagenheber auf den mittleren Zeh gefallen. Dann gehe ich hinunter zum Pförtnerhaus und gebe dort meine Anweisungen: Tore öffnen, Eimer bereitstellen für Helfer, Gefäße mit Wasser füllen. Don Demetrio, unser ständiger Mitarbeiter, will an den Hang zum Löschen und ich schicke ihn los.
Wieder oben beim Berghaus beginne auch ich Holzstapel zu benässen. Diese Tätigkeit führen Mateo und ich bei mäßigem Wind, der genau von der Feuersbrunst am Berg auf Mollesnejta zielt, bis etwa Mitternacht fort. Unsere Hosen sind nass und die Beine bis übers Knie von Nässe und Kälte taub. Das Feuer auf dem benachbarten Hügel scheint gelöscht. Da ich weiß, wie trügerisch es ist zu glauben, dass ein Feuer endgültig gelöscht ist überzeuge ich mich in dieser Nacht zweimal davon, dass alles dunkel ist.
Am nächsten Vormittag, dem 2. August qualmt es vereinzelt am Hügel, aber weil es windstill ist bleibt es dabei. Meine Tochter Tatyana ruft aus Rio de Janeiro an und fragt wie es steht. Onkel Dante hat seinen Neffen Pablo, das ist ihr Partner, über das Feuer unterrichtet, das er in der Nacht wahrscheinlich aus seiner Hochhauswohnung in Cochabamba-Stadt hat sehen können. Ich informiere Taty, dass Mollesnejta nicht betroffen und das Feuer wohl gelöscht ist. Mirko hat in Mollesnejta übernachtet und fährt nun, da das Feuer gelöscht scheint zusammen mit Johanna, der neuen Praktikantin zwecks Einkäufe mit dem Jeep in die Stadt.
Gegen Mittag kommt der berüchtigte heftig-böige Augustwind auf. Von einem Moment auf den anderen ist das Feuer am Hang wieder entfacht. Wieder zielt der Wind das Feuer genau auf Mollesnejta zu. Uns trennt nur der Bergeinschnitt zwischen den beiden Bergnasen. Eine Befeuchtung der Hölzer in der Köhlergrube ist bei der Sonneneinstrahlung, der Nachmittagshitze und dem trockenen Wind vergeblich. Das Feuer wird immer heftiger, der Wind treibt Funken und Ascheflocken bis zu uns. Dichte Rauchschwaden überziehen Mollesnejta. Leonardo und Don Demetrio bieten sich an hochzugehen und am Hang das Feuer zu bekämpfen. Mateo und ich holen die Esel und Lamas von der Weide und binden sie nah beim Haus an, wo sie freigelassen werden können im Fall, dass das Feuer uns überfällt. Doña Crecencia wird beauftragt rund um das Pförtnerhaus den Boden zu nässen. Mateo und ich machen nun doch dasselbe oben rund ums Berghaus. Erst wenn das Feuer quasi vor der Türe steht will ich die Sprengler öffnen, die wir nach dem letzten Brand im August 2017 im Norden, Osten und Westen des Berghauses angebracht haben und die von einem 2.000 Liter Tank etwa 30 Meter oberhalb des Hauses gespeist werden, der mit Metallplatten wie mit einer unbrennbaren Mauer gegen Flammen geschützt ist. Über WhatsApp erfahren ich Näheres über die Feuerbekämpfung; vor allem auf der Hinterseite des Hügels scheint es stark zu brennen. Am Nachmittag ein verzweifelter Anruf von Bastian, dem Besitzer des Berghotels: „Hast du noch Leute, die du mir zum Feuerlöschen schicken kannst?“ Nun, Demetrio ist vor kurzen zurückgekommen, um was zu essen und vor allem zu trinken und Leonardo ist schon den ganzen Nachmittag oben, aber Mirko ist gerade zurück aus der Stadt und könnte mit der Feuerwehrpumpe ….

Bastian kommt umgehend mit seinem Pickup, lädt Feuerwehrpumpe, Mirko und Demetrio ein und fährt wieder ab. Uns zurückgebliebenen bleibt nichts anderes als weiter rund um das Berghaus zu nässen (eher vergebliches Tun, das jedoch etwas von der Angst ablenkt) und immer wieder mit grausamer Faszination die lodernden Flammen am benachbarten Hügel zu beobachten. Leonardo kommt kurz vor Dämmerung vom Berg runter, genau in dem Augenblick, als Bastian nochmals um Nachschub an löschenden Händen bittet. Leonardo ist zwar völlig erschöpft vom Nachmittag des Kampfes gegen das Feuer, jedoch bereit nochmals loszuziehen. Diesmal nimmt er einen von unseren Rückenspritzen mit.
Über WhatsApp kommt die Nachricht, dass beim Berghotel mehr Wasser gebraucht wird mit der Bitte Wassertankwagen zu schicken. Ich mache entsprechende Anrufe und informiere auch darüber, dass die Tankwagen Wasser aus dem Mollesnejta-Wasservorratsbecken an der Straße entnehmen können. Inzwischen ist es dunkel, weshalb ich mich in Begleitung von Johanna an die Straße stelle, um die Wasserbetankung zu unterstützen. Zweimal kommt ein Polizeiwagen vorbei, jedoch kein einziger Wassertankwagen.
Von der Straße aus kann man beobachten, wie verheerend der Eukalyptuswald knapp oberhalb vom Berghotel lodert. Und dann ist es plötzlich windstill und damit auch die Heftigkeit des Feuers gebrochen. Mirko ruft an und informiert darüber, dass das Feuer rund um das Berghotel gelöscht ist und jetzt scheinbar nach Mollesnejta rüberzieht. Bastian bringt ihn mit der Feuerwehrpumpe umgehend zurück. Während wir abladen erzählt Bastian, dass er bereits seine liebsten Sachen aus dem Hotel rausgeholt hätte, da es in seinen Augen keine Hoffnung mehr auf Rettung gab. Im letzten Moment und auch dank der Befeuchtung rund um das Hotel mit Hilfe der Feuerwehrpumpe habe das Feuer gestoppt werden können.
In der Nacht ist nicht gut erkennbar wo genau die eine Bergnase aufhört und die andere anfängt. Jedenfalls treibt das Feuer auf Mollesnejta zu. Wir bangen und fürchten uns eine gefühlte Ewigkeit. Und plötzlich sind auch hier die Flammen aus. Totale Dunkelheit wo es kurz davor noch hell loderte! Mirko kann mit dem Jeep nach Hause fahren und bringt auf dem Weg Leonardo nach Hause. Mit Mateo und Johanna halte ich noch eine Weile Feuerwache, schicke sie dann auch zu Bett. Über WhatsApp erfahre ich gegen 22:00 Uhr, dass die freiwillige Feuerwehr sich vom Berg zurückzieht, weil sie das Feuer für gelöscht hält. Ich setze mich noch etwas an den Laptop, aber an richtiges Arbeiten ist nicht zu denken. Nach mehreren Ausflügen raus auf die Terrasse und den mittleren swale entlang, von dem aus ich die Bergschlucht einsehen kann überzeuge ich mich kein rotes Flimmern mehr zu entdecken. Irgendwann gegen Mitternacht falle ich selber in die Koje. Einmal schrecke ich mit Brandgeruch in der Nase auf, aber das ist nur Selbsttäuschung. Es ist mir häufiger nach dem Brand in Mollesnejta im August vor zwei Jahren passiert. Über WhatsApp erfahre ich am nächsten Morgen, dem 3. August, dass bis gegen 03:00 Uhr im Hotel Feuerwache gehalten worden ist; dann sind die letzten Helfer abgezogen. Insgesamt waren etwa 100 freiwillige Rettungshelfer beim Löschen des Feuers tätig. Rund 100 Hektar Wald, Büsche und Kräuterwiesen sollen abgebrannt sein. Heute steht der Berg unter Beobachtung. Vor Ort sucht Bastian mit Helfern die letzten glimmenden Stellen auf. Spannend wird es, wenn am Nachmittag der Wind, wie jetzt in der Trockenzeit üblich, einsetzt.

Tatsächlich kann ich am Nachmittag bei leichtem Wind am Berghang drei Rauchfahnen erkennen. Über WhatsApp informiere ich Bastian, der mich wiederum zurückinformiert, dass ein paar Freiwillige vom Hotel aus aufgebrochen sind, um diese Rauchstellen zu löschen. Der Wind weht heute nur ganz leicht und am Abend ist überhaupt kein Rauch, bzw. als es dunkel ist sind keinerlei Glutflecken zu sehen.
Sonntag, der 04. August: Bastian ruft am frühen Vormittag an und fragt, ob am Berg von unserer Seite aus Rauchfahnen zu sehen sind. Ich lasse mir Zeit und wandere mit den Augen alles genau ab. Mit gutem Gewissen kann diese Frage verneint werden.
Es waren zwei Nächte und zwei Tage voller Anspannung und Sorge!
Weder Mollesnejta noch das Berghotel Carolina sind zu Schaden gekommen, aber uns wurde wieder einmal vor Augen geführt, wie schnell man alles verlieren kann.
Damit man diese wichtige Message ja nicht vergisst riecht es weiterhin nach Asche, Kohle und Verbrannten. Der Innenhof vom Berghaus ist mit Ascheflocken bedeckt und der Augustwind bringt immer wieder Nachschub.
In Mollesnejta haben wir seit der verheerenden Feuersbrunst, die im August 2017 rund 90% der Agroforstparzellen und über 11 der insgesamt 16 Hektar vernichtet hat und uns immer noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt (viele halbverbrannte Bäume und Stämme müssen noch verarbeitet werden!), einige Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Feuergefahr unternommen:
- An der Westgrenze gibt es einen vegetationsfreien (muss alljährlich von Neuem freigeschnitten werden) sechs Meter breiten Streifen
- Drei swales (den Höhenlinien folgende quasi Straßen), die auch befahrbar sind queren den Hang auf drei verschiedenen Höhenstufen und werden möglichst vegetationsfrei gehalten
- Trinkwasserschläuche wurden in die Erde verlegt
- Wasservorrattanks erhalten nach und nach schützende Mauern
- Rund um das Berghaus sind einige Kiefern gefällt worden, rund um Berghaus und Pförtnerhaus wurden die Chacatea-Büsche, die durch ihren hohen Harzgehalt das Feuer anfachen, gefällt
- Rund um Berghaus und Gästehaus wurde jeweils ein Ring feuerabweisender Pflanzenarten (Opuntia ficus-indica u.a.m.) angelegt
- Im Norden, NO und NW vom Berghaus können mit einem Handgriff Sprengler in Betrieb gesetzt werden, die die Vegetation befeuchten und somit vor Kriechfeuer schützen
Diese Anti-Feuermaßnahmen werden sukzessive weiter ausgebaut:
- Gästehaus und Aula erhalten ebenfalls eine Sprengleranlage, danach das Modell- und das Pförtnerhaus
- Die E-Pfosten aus Eukalyptusstämmen werden bis auf 1,5 Meter Höhe mit Wellblech ummantelt
- Rund um Pförtnerhaus und Modellhaus werden feuerabweisende Pflanzenarten ausgepflanzt
Durch das Feuer vor zwei Jahren in Mollesnejta haben wir viel gelernt. Nicht nur, dass alles Menschengemachte ziemlich fragil ist gegenüber den Naturgewalten, sondern auch wie sich die Natur nach einem Feuerereignis regeneriert. Auf dem 6ten Agroforst-Kongress des ECOSAF-Netzwerkes vom 7. – 9. November 2019 in Cochabamba/Pairumani werde ich einen Vortrag darüber halten.
Und noch ein paar Gedanken: Je mehr Menschen am Hang des Tunari wohnen, desto besser ist der Feuerschutz. Je mehr Vorteile diese Menschen von der Fläche am Hang haben – ich denke da nicht nur an Holz, sondern zuerst an Honig, Pilze, Medizinalpflanzen, Touristen, Beeren – desto intensiver würden sie den Hang gegen Feuer schützen. Momentan sind die Tunari-Berghänge als Weide ausgewiesen. Weidegras wächst am grünsten nach einem Feuer, weil Asche ein kurzfristiger Dünger ist. Die Nutzung dieser Hangflächen müsste demnach anders gestaltet sein und das bedeutet auch Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen. Tja, und ganz einfach: es sollte in jeder Gemeinde Feuerwehrautos mit genügend Wasser und Kraftstoff + geschultes Personal geben!
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