Noch etwas anderes machen. Andere Erfahrungen, andere Erlebnisse, nicht nur reisen. Am besten in Verbindung mit Natur und Menschen. Das war, kurz gefaßt, die Motivation, für drei
Wochen nach Mollesnejta zu gehen. Mollesnejta ist das Grundstück von Noemi Stadler-Kaulich (1), auf dem nach den Prinzipien des dynamischen Agroforst gewirtschaftet wird.

Zudem ist es ein Forschungsgelände, auf dem
Studenten und Wissenschaftler aus Bolivien, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern Untersuchungen durchführen.
Praktikanten und Freiwillige wohnen im Gästehaus, einer einfachen, aber gemütlichen
Unterkunft mit drei Schlafräumen und Küche.
Zurzeit bilden Lena aus Göttingen, Benjamin aus Berlin, Adriana aus Luzern und ich die Wohngemeinschaft – eine vorbildliche Gemeinschaft, in der alle sich gegenseitig
fördern und unterstützen. Die Pflanzen da draußen könnten sich ein Beispiel daran nehmen. Da sie das nicht immer tun, haben wir einiges zu tun: Begleitbäume zurückschneiden, Unkraut ausreißen, Biomasse aufbringen.

Ein typischer Tagesablauf in Mollesnejta sieht in meiner ersten Woche so aus: 7 Uhr: aufstehen. Mit etwas Glück hat Benjamin bereits Kaffee gekocht. Sonst muß man das selbst machen. Frühstück mit Müsli. 8 Uhr: Arbeitsbeginn. Treffen mit Noemi, die sagt,
was es heute zu tun gibt. Im Garten beim Berghaus muß ausgelichtet werden, um die
Apfelbäume zu fördern. Unkraut ist auszureißen, Äste sind abzusägen. Das anfallende Material wird an Ort und Stelle
als Biomasse in Ringen um die Bäume gelegt. Für den Rest sind Mikroorganismen zuständig (2).

12 Uhr: Mittagessen. Das muß man tags vorher bei Doña Crecencia bestellen, besteht aus Suppe, Hauptgericht und Getränk und kostet 15 Bolivianos. 14 Uhr: Fortsetzung der Arbeit. Eigentlich sollte es nur eine Stunde Mittagspause sein, aber das klappt nie. 17 Uhr: Arbeitsende. Wir sind erstaunlich müde von so ein bißchen Pflanzenrupfen. Aber für das Zubereiten und Verzehren eines Abendessens reicht die Kraft unserer kleinen WG allemal. Duschen tut gut, weil sich auf der Haut doch einiges an Schweiß und Biomasse angesammelt hat. Wenn wir sehr müde sind, lachen wir ziemlich viel. Irgendwann am späteren Abend stellen wir fest, daß es gerade
einmal zwanzig Uhr zehn ist.

Am Dienstag arbeiten wir statt in
Mollesnejta auf Noemis Grundstück in Sipe Sipe, etwa eine halbe Autostunde entfernt.
Die Arbeit dort gehört zu einem von der Universität Freiburg betreuten und vom
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft finanzierten Forschungsprojekt, das die Faktoren der Biodiversität auf Boden und Gesamtökologie untersucht und das im Netzwerk TreeDivNet eingetragen ist (3).Es ist weltweit das allererste Forschungsprojekt, das denRegeln von TreeDivNet entspricht und agroforstlich gemanagt wird.

Wir fördern den Wuchs von jungen Apfelbäumen, amerikanischen Eschen, Tagasaste, Dattelpalmen und Pacay, indem wir die dazwischen wachsenden Pflanzen ausreißen oder mit der Sichel abschneiden und als Biomasse um die Bäumchen legen. So schön es ist, eine Arbeit zu machen, die Bodenqualität und Biodiversität verbessern wird, und dabei auch noch Teil eines weltweiten Netzwerkes zu sein, so heiß und schattenlos ist das Gelände. Bei Arbeitsende sind die Bäumchen dankbar und wir ziemlich erledigt.


Am Donnerstag sorgen wir für den Nachwuchs in Sipe Sipe, indem wir in Mollesnejta über zweihundert kleine, nur wenige Zentimeter hohe Tagasaste-Bäumchen einsammeln und
in Plastikbeutel verpflanzen. Seit ich das erste Mal ein Agroforst-Projekt besucht habe –
damals in Sapecho, im tropischen Tiefland Boliviens – bin ich fasziniert sowohl von der
Schönheit als auch von der Effizienz dieser Art der Bodenbewirtschaftung. Gleichzeitig und in einer großen Vielfalt wachsen Gemüse und
Kräuter, Sträuche und Bäume.

Dynamischer Agroforst imitiert gewissermaßen den natürlichenAblauf von Pionier- über Sekundär- bis hin zu Klimaxpflanzen, wobei diese Pflanzen gleichzeitig und sich gegenseitig unterstützend angebaut werden. Das erfordert viel Arbeit, wird aber angesichts von Bodenverschlechterung, zunehmender Trockenheit und fehlender Nutzinsekten vermutlich die Zukunft der Landwirtschaft sein, wenn sie denn eine haben will.
Am Wochenende gehen wir in die Sauna, zusammen mit Brenda, einer bolivianischen Studentin, die auf Mollesnejta eine Forschungsarbeit zum Wachstum von mehrjährigem Weizen unter verschiedenen Bedingungen und seine mögliche Förderung
durch Wurzelpilze und stickstofffixierende Bakterien durchführt. Eine bolivianische Sauna ist etwas anders als eine deutsche.
Es wäre ein unsterblicher Fauxpas, nackt in eine bolivianische Sauna zu gehen. Man käme aber auch gar nicht auf die Idee, denn die Sauna ähnelt eher einem kleinen Schwimmbad mit einem Becken, in dem sich ballspielende Familien tummeln,einem heißen Whirlpool, einer Dampf- und einer Trockensauna sowie einem Imbißstand, alles auf recht engem Raum. An Sonntagen ist es ziemlich voll, lebendig und laut.

Von Mollesnejta aus hat man einen schönen Panoramablick auf das Valle Cochabambino.
Das Tal hat etwa eine Million Einwohner. Tagsüber kann man ganz im Hintergrund die
Christus-Statue erkennen, die übrigens höher ist als die in Rio de Janeiro, nachts funkelt
ein Lichtermeer. Cochabamba ist mit seinen westlichen Vororten Colcapirhua, Quillacollo, Vinto und Sipe Sipe mittlerweile nahtlos zusammengewachsen. Vor allem Quillacollo
ist für uns der Ort zum Einkaufen, Geldwechseln, Kaffeetrinken und für
sonstige Erledigungen.

In gut einer halben Stunde ist man mit dem Trufi vonCombuyo hingefahren, dem
Dorf, an dessen Rand Mollesnejta liegt. Überrascht stelle ich fest, daß Quillacollo
außer reichlich Märkten (4)ein
richtig hübsches koloniales Zentrum hat. Bisher war dieStadt für mich nur ein
Durchfahrort, bevorzugt nachts und müde.

Am Montag der zweitenWoche schneiden wir Schilfrohr und Maralfalfa ,auch Elefantengras oder Napiergras genannt.Letzteres tut mir gar nichtgut. Das Gras hat kleine Härchen (5), die furchtbar jucken, was mich fast in denWahnsinn treibt. Nur fast.Danach halte ich respektvollen Abstand von diesem Gewächs und berühre es allenfalls noch in gehäckseltem Zustand und mit Handschuhen.
Biomasse schneiden und ausbringen kann ich jetzt einigermaßen. Aber um die Bescheinigung der Fortbildung in dynamischem Agroforst zu erhalten, fehlt
mir natürlich noch mindestens eine wesentliche Kompetenz (6): Die Herstellung und Verwendung von Pflanzenkohle. Dazu
müssen wir erst einmal Unmengen trockenen
Zweigholzes vorbereiten. Es wird in eine Lehmkuhle gelegt und angezündet.



Entscheidend ist, daß es nicht wie beim Lagerfeuer einfach verbrennt, denn dann bliebe nur Asche übrig und das wollen wir
nicht, sondern daß eine Pyrolyse stattfindet. Dabei verbrennen die freigesetzten holzeigenen Gase und das Gerüst aus Kohlenstoff bleibtübrig. Die Pyrolyse findet weitgehend sauerstofflos statt und muß
rechtzeitig gestoppt werden, bevor die Verbrennung weitergeht. Das könnte man mit Wasser machen. Um in der Kohle Nährstoffe für die Pflanzen zu speichern, in erster Linie
Stickstoff, hat sich aber eine andere natürliche Flüssigkeit als besser erwiesen, an deren Produktion unsere WG durch fleißigen Konsum von Wasser, Kaffee und Bier eifrig
mitgewirkt hat. Gewisse Geruchsbelästigungen sind dabei nicht
von der Hand bzw. der Nase zu weisen. Ich weiß noch nicht genau, wie ich diesen Schritt der Produktion von
Biokohle zuhause hinbekomme.

Mitten während der Arbeit trifft Cora
ein, Studentin aus Hoorn (7). Ungeachtet dieses ersten Eindrucks schließt sie sich unserer WG an. Ein paar Tage später, als die Kohleetwas trockener und weniger
geruchsintensiv ist, können wir sie ausbringen, vermischt mit Lamamist
und Erde. Ein Walnußbaum soll von der Terra Preta profitieren, die sehr lange Zeit Nährstoffe und Wasser speichern und damit den Boden verbessern kann. Die Völker im
Amazonasgebiet verwenden Terra Preta schon seit langer Zeit, dieEffekte sind noch immer sichtbar. Noemi instruiert uns und läßt uns
dann weitgehend freie Hand. Wir hoffen, daß sie ihre Entscheidung nicht in ein paar hundert Jahren bereut.

An meinem letzten Arbeitstag fahren wir noch einmal nach Sipe Sipe, um die Bäumchen zu gießen und teilweise zu düngen. Das heißt: Eimer schleppen und rechtzeitig wieder zurück beim Abfüllschlauch zu sein, damit kein kostbares Wasser verschwendet wird. Das„kostbare Wasser“ ist keine Floskel. Wie wertvoll Wasser ist, wird einem erst dann richtig bewußt, wenn es knapp ist.
Und dann sind die drei Wochen auch schon vorbei. Schön anstrengend war es, aber vor allem schön. Es war eine richtig gute Zeit. Das
hatte vor allem zwei Gründe: zum einen das Gefühl, eine sinnvolle Arbeit zu machen,
zum anderen die nette, witzige und problemlose Gemeinschaft.

Footnotes
1 Noemi ist eine der führenden Expertinnen weltweit im Bereich Agroforst in ariden und semi-ariden Gebieten. Wer sich eingehender
damit befassen will, dem sei ihr Buch empfohlen: Noemi Stadler-Kaulich, Dynamischer Agroforst, 2021 oekom verlag München
2 Das System kommt mir ungemein entgegen: die Sachen einfach liegenlassen und die restliche Arbeit anderen überlassen.
3 TreeDivNet ist das größte Netzwerk für Experimente zur Biodiversität weltweit mit 29 Experimenten auf insgesamt 854 Hektar. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, sind dabei bestimmte Parameter genau einzuhalten. Auf der Internetseite treedivnet.ugentbefindet man unter BEF-Agrofrestry die beiden Versuchsfelder in Sipe Sipe. Wir haben auf IncaWayra gearbeitet.
4 Bolivien besteht überhaupt zu einem großen Teil aus Märkten. Damit esnicht langweilig wird, hat man ein paar spektakuläre Landschaftendazwischengepackt.
5 „MARALFALFAABWEHRHAERCHEN“ wäre ein tolles Wort für Hangman.
6 Natürlich gäbe es noch viele weitere wichtige Kompetenzen, z.B. selbstständig entscheiden zu können, was jetzt wie wo zu tun ist oderüberhaupt mal alle wichtigen Pflanzen zu erkennen. Aber das wäre dannschon der große Agroforstschein.
7 Cora kommt damit aus dem gleichen Ort und hat auch noch den gleichen Nachnamen wie der Benenner der berüchtigten Südspitze des Kontinents. Eine bessere Referenz für Südamerika kann es kaum geben.
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