Anfang November hatte ich zusammen mit meinen zwei Mitbewohner, Arbeitskollegen und mittlerweile guten Freunden Gustavo und Robin die Möglichkeit am Kongress „19. encuentro nacional de la plataforma de suelos para una agricultura sostenible“ (19. nationales Treffen der Bodenplattform für nachhaltige Landwirtschaft) zur Thematik „intercambio de experiencias en sistemas agroforstelas en diferentes pisos ecologicos de Bolivia“ (Erfahrungsaustausch in Agroforstsystemen auf unterschiedlichen ökologischen Böden Bolivien) teilzunehmen.
Sapecho
Das Treffen fand in Sapecho statt. Einem Dorf mit ca. 1000 Einwohnern in den südlichen Yungas Boliviens in der Region Alto Beni. Die Yungas bestehen aus zwei langgestreckten Tälern und bilden den Übergang zwischen dem bolivianischen Altiplano (Hochland der Anden; über 4000 m ü. d. M) und dem tropischen Tiefland (500m) welches teilweise schon zum Amazonaseinzugsgebiet gehört. Da in den Yungas ein sehr mildes Klima herrscht, werden dort Kaffee, Kakao, Obst und eine der wichtigsten Pflanzen der bolivianischen Kultur Coca produziert.
El Ceibo
Sapecho ist ganz Bolivien bzw. weltweit sehr bekannt, denn dort ist die von Fair-Trade zertifizierte ökologische Kakao-Produktionsgenossenschaft „El Ceibo“ ansässig. So verkauft z.B. das deutsche Unternehmen GEPA bolivianischen Kakao aus Sapecho in Weltläden. Der Name Ceibo stammt von dem gleichnamigen Urwaldbaum, der in der Umgebung zu finden ist und immer wieder austreibt, nachdem er gerodet wird. Er ist auch bekannt als „arbol que no se muere“ – der Baum, der niemals stirbt und symbolisiert dadurch die Willenskraft der Kooperativen. Da ich es leider nicht geschafft habe ein schönes Foto zu machen, hier eins aus dem Internet.
Durch ein massives Umsiedlungsprogramm der bolivianischen Regierung in den 60er Jahren aufgrund von Landknappheit und einer Krise der Bergbauindustrie zogen tausende Familien aus dem Altiplano in das tropische Tiefland. Dort erhielten sie von der Regierung 12 ha Land mit der Auflage 4 ha für den Kakaoanbau zu nutzen. Da die Familien jedoch kaum technische Unterstützung bekamen schlossen sie zu dörflichen Produktionsgemeinschaften zusammen um gemeinsam die Produktionsschwierigkeiten in der für sie neuen Umgebung zu überwinden. In Alto Beni gründeten einige dieser Gemeinschaften für die unabhängige Vermarktung ihres Kakaos 1977 den Kooperativen-Dachverband El Ceibo, die ihren Sitz in Sapecho hat. Von der zentralen Sammelstelle der Kakaobohnen in Sapecho werden diese dann nach El Alto in die Schokoladenfabrik gebracht.

Ceibogelände und gleichzeitig Veranstaltungszentrum des Kongresses in Sapecho; im Hintergrund Metallvorrichtungen zum Trocken des Kakaos
Heute besteht Ceibo aus rund 50 Kooperativen mit 1.200 Mitgliedern, hauptsächlich KleinproduzentInnen. Nachdem in den ersten Jahrzehnten die Produkte von El Ceibo nahezu ausschließlich für den Fairen Handel in Europa und Nordamerika bestimmt waren, werden sie heute auch nach Argentinien und Chile exportiert. Der Anteil des Inlandabsatzes hat bereits mehr als 25 Prozent erreicht. Auch in Cochabamba gibt es zum Glück einen Ort, an dem Ceibo-Schokolade verkauft wird, denn die ist wirklich sehr lecker.
Ecotop
Das zweite Unternehmen in Sapecho ist Ecotop, eine Beratungsfirma für nachhaltige Land- und Forstwirtschaft basierend auf sukzessionaler Agroforstwirtschaft (Agroforstwirtschaft mit natürlicher Regeneration, so wie bei uns hier in Mollesnejta).
Ecotop und El Ceibo sind also die Hauptakteure der ökologischen Landwirtschaft in Alto Beni, die Bauern und Bäuerinnen unterstützen auf nachhaltige Landwirtschaft umzustellen.
Anreise
Um nach Sapecho zu gelangen führt der Weg von La Paz (ca. 3800m; Stadt des Regierungshauptsitz, 8 Stunden Busreise von Cochabamba entfernt) viele weitere Stunden quer die Yungas. Als wir in La Paz am Busbahnhof ankamen war es halb 10 Uhr abends. Die Sonne war seit einigen Stunden untergegangen und die berühmten Yungeñas (bolivianische Reisebusse, die die Yungas durchqueren) fuhren zu unserer Überraschung schon lange nicht mehr. Wir hatten leider die Informationen zur Anreise nach Sapecho durcheinander gebracht, denn in der Einladung stand ziemlich deutlich, dass die Yungeñas tagsüber reisen und nachts nur kleine Taxitruffis (Auto mit Platz für 6 Mitreisende) den kurvigen Weg durch die Yungas wagen. Da wir nun schon einmal dort waren, stiegen wir kurzentschlossen in einen Taxitruffi ein. Die Straße durch die Yungas ist weltweit berühmt als „camino de la muerte“ (Todesstraße), da sie sehr schmal und kurvig ist und in den vergangenen Jahren viele Autos, Lastwägen und Busse abgestürzt sind. Zwar ist schon ein Teil ausgebaut und verbreitet worden, aber es gibt noch viele Stellen an denen mir der Atem stehen blieb. Auf dem Weg war um uns herum alles dunkel, es gab keine Straßenbeleuchtung und nur manchmal wurden wir durch ein entgegenkommendes Fahrzeug geblendet. Das Tal und seine Vegetation ließen sich in der Dunkelheut nur ganz spärlich erahnen. Unserer Fahrer war ganz in seinem Element und bretterte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit die kurvige Straße hinab, sodass wir auf der Rückbank nur so hin und her geschüttelt wurden. Mir wurde ziemlich schlecht und meine Ohren fingen aufgrund des rapiden Höhenverlustes an zu knacken. Alle meine Versuche ein wenig die Augen zu schließen scheiterten. Als wir um halb 5 Uhr morgens endlich in Sapecho ankamen, fielen wir todmüde ins Bett. Zum Glück konnten wir noch einen Tag entspannen bis die Veranstaltung losging, so konnten wir uns gut von der brisanten Reise erholen.
Tag 1
Den ersten Tag verbrachten wir hauptsächlich drinnen. Nach vielzähligen Begrüßungsworten verschiedene VertreterInnen unterschiedlicher Organisationen, die die Veranstaltung organisiert haben, stellten sich die einzelnen Regionalgruppen der Plattform vor. Die Idee war eigentlich wie das Thema der Veranstaltung verriet, sich über Agroforstsysteme in den verschieden Regionen Boliviens auszutauschen und im Programm, welches vorab verteilt wurde, stand ebenfalls, dass die Präsentationen der einzelnen Regionalgruppen über Agroforstsysteme sprechen. Ich hatte mir einen großen Wissensinput über die unterschiedlichen Kombinationen von Pflanzen in den verschiedenen Regionen erhofft. Dieser Wunsch blieb leider größtenteils unerfüllt. Dafür durfte ich 2 Theaterstücke zum Umweltschutz genießen, eins davon auf Quechua. Sehr positiv fand ich, dass einige Bauern (die Veranstaltung war hauptsächlich männlich geprägt) ihre Agroforstsysteme vorstellten und über die Umstellung von konventioneller zur ökologischen Landwirtschaft sprachen. Die Übersetzung von Quechua ins Spanische war leider sehr spärlich, so konnte ich von diesem, für mich spannenderem, Teil der Veranstaltung, relativ wenig mitnehmen. Die anderen Präsentationen über Agroforstsysteme waren sehr generell gehalten und haben hauptsächlich über die Vorteile dieser Anbauweise gesprochen.
Sehr schade war, dass wir als unabhängige Teilnehmende, da Mollesnejta nicht zur Plattform gehört, nicht im offiziellen Programm eingeplant wurden, obwohl wir ebenfalls 3 Präsentationen à 10min angekündigt hatten. Zum Glück konnte Gustavo sein Thema über die Bedeutung von einheimischen Pflanzen in einem Agroforstsystem und unsere Arbeit hier auf Mollesnejta noch relativ kurzfristig kurz vor der Mittagspause präsentieren.
Robin und ich stellten unsere Themen dann am Nachmittag bei einer kleinen Messe auf dem Fußballplatz vor, bei der die verschiedenen Regionalgruppen ihre Arbeit sowie Produkte (Samen, Handwerk, Selbstgemachtes wie Marmelade, etc.) präsentierten. Robin berichtete über die nachhaltige Herstellung von Pflanzenkohle als Bodenverbesserer. Die Pflanzenkohle dient vor allem als Trägermittel für Nährstoffe sowie als Mikrohabitat für Bodenmikroorganismen wie Bakterien und Pilze, auch wird durch sie die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens erhöht. Außerdem ist sie der wichtiger Bestandteil der Terra preta (anthropogener Boden, der aus einer Mischung von Holz- und Pflanzenkohle, menschlichen Fäkalien, Dung und Kompost durchsetzt mit Tonscherben besteht) Da dieser Boden eine sehr hohe Nährstoffspeicherfähigkeit besitzt, trägt er zur Ertragssteigerung tropischer Böden bei, die durch den hohen Niederschlag durch die Auswaschung der Nährstoffe geprägt sind. Ich stellte den Organismus der Blattschneiderameisen vor, die durch ihre Anwesenheit ebenfalls zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit beitragen, dazu jedoch in einem anderen Blogeintrag, indem ich über meinen bevorstehenden Wahlversuch berichten werden, mehr.
Tag 2
Sara Ana
Am nächsten Tag wurde bereits um halb sechs gefrühstückt, denn allen Teilnehmenden des Kongresses stand eine kleine Reise zur Versuchsstation Sara Ana bevor. In Taxis à 6 Personen, die extra für diesen Tag gemietet wurden, ging es 2 Stunden über eine holprige Sandstraße quer durch den Regenwald. Bis auf einige vereinzelte Häuser blickte ich nur auf sattes Grün und zwischendurch auf verschiedene mäandernde Flüsse mit enormem Flussbett. Im Gegensatz zu den ganzen begradigten Flüssen in Deutschland bahnen sich die Flüsse hier noch ihren eigenen Weg, eindrucksvoll. Einen dieser Flüsse musste wir per kleiner Autofähre (jeweils Platz für 3 Autos) überqueren. Bis alle Autos mit den ca. 100 Teilnehmenden auf die andere Seite übergesetzt hatten, dauert es so seine Zeit.
In Sara Ara angekommen wurden wir in kleinen Gruppen über das Gelände geführt und uns wurde die Arbeit und die Hintergründe der Versuchsstation erklärt. Sara Ana ist ein Teil des Projektes „landwirtschaftlicher Systemvergleich in den Tropen“, welches FibL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau)über 20 Jahre in drei verschiedenen Ländern(Bolivien, Kenia und Indien) durchführt. In Kenia wird der Anbau von Mais, Bohnen, Kartoffeln und weiteren Gemüsesorten überprüft. In Indien der Anbau von Baumwolle, Soja und Weizen. Bolivien bzw. Alto Beni wurde als Versuchsstandort für Kakaoanbau ausgewählt, da hier durch den großen Einfluss von Ceibo rund 60% der Bauern und Bäuerinnen biologisch Kakao anbauen. Ceibo stellt FibL auch die 40ha große Versuchsfläche zur Verfügung. 2007 wurden in Sara Ana 24 Parzellen angelegt. In 20 Parzellen wurden 12 verschiedene Varietäten Kakao (4 lokale Sorten, 4 Klone und 4 Hybride) in 5 verschiedenen Anbausystemen gepflanzt [Monokultur biologisch und konventionell, Agroforst biologisch und konventionell sowie biologisch sukzessiver Agroforst]. 4 Parzellen Brache dienen als Vergleichsfläche für Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität.

Flor de patuju (Heliconia rostrata) in der Parzelle des biologisch sukzessiven Agroforstsystems; eine der zwei Blüten, die der bolivianischen Flagge ihre Farben geliehen haben
Der Versuch dient dazu den Beitrag von nachhaltiger Landwirtschaft und deren ökonomischen Wert im Vergleich zu anderen Anbauweisen zu überprüfen. In den 20 Jahren Durchführung werden Daten zur Produktivität, Wirtschaftlichkeit, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität und zu den Auswirkungen auf die Ökologie erfasst. Es fehlen also nach ca. 14 Jahre bis zur endgültigen Auswertung.
Ich hätte gern ein wenig mehr Zeit dort verbracht um zu sehen wie dort die Daten erhoben werden. Neben den Festangestellten sind einige Masterstudierende sowie DoktorantInnen aus verschiedenen Ländern vor Ort, die dort ihre Abschlussarbeiten durchführen. Vielleicht ein Ort an den ich später im Rahmen meines Studiums nochmal zurückkommen kann.
Besuch bei regionalen Produzierenden
Am Nachmittag machten wir uns auf verschiedene Produzierende der Region, die biologische Landwirtschaft betreiben, zu besuchen. Wir besuchten zwei Familien, die seit einiger Zeit „Chaqueo sin quema“ (Chaqueo ohne zu verbrennen) praktizieren. Chaqueo wird das Entfernen der Vegetation einer bestimmten Fläche genannt um den Boden urbar zu machen. In Bolivien geschieht dies meist durch das Abbrennen der vorhandenen Vegetation. Da so jedoch die Nährstoffe der Pflanzen in Form von Asche aus dem System aus gewaschen werden verarmt der Boden relativ schnell. Die ein wenig zeitaufwendigere jedoch nachhaltige Methode („Chaqueo sin quema“), da die Nährstoffe im System bleibe, ist das org Material per Motorsäge klein zu schneiden und auf dem Boden zu lassen, so wie wir es hier in Mollesnejta machen. Die Bauern und Bäuerinnen, die wir besuchten zeigten uns ihre Anbaufläche und berichteten über den Wechsel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Tag 3
Am dritten Tag wurden die Ergebnisse, Erkenntnisse und Erlebnisse der vorherigen 2 Tage nochmal zusammengefasst, über Verbesserungsmöglichkeiten gesprochen und abgestimmt in welche Region Boliviens das Treffen im nächsten Jahr stattfinden wird. Einer der Punkte zur Verbesserung, die angesprochen wurden und der aus meiner Sicht der wichtigste ist, ist mehr Bauern und Bäuerinnen des Landes zu diesem Event einzuladen. Der größte Teil der Anwesenden bestand aus RepräsentantInnen von landwirtschaftlichen Beratungsorganisationen. Ein Grund dafür war die weite Anreise und die hohen Teilnahmegebühren. Ich würde es schön finden, wenn es in Zukunft mehr Produzierenden ermöglicht würde diesen Kongress zu besuchen umso den Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft in ganz Bolivien zu ermöglichen. Sehr positiv empfand ich die Anwesenheit der Presse, die über das Event eine Doku für einen nationalen Fernsehkanal drehte.
Insgesamt waren die drei Tage sehr bereichernd und ich habe es sehr genossen eine Ecke von Bolivien kennenzulernen, die nicht so leicht zu erreichen ist.
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